Deutschland importiert so viel Strom wie nie zuvor. Ist der Atomausstieg schuld? Eine Einordnung.
Für Atomkraft mag es gute Argumente geben. Doch der aktuelle Importüberschuss gehört nur sehr bedingt dazu.
Die Stromimporte betrugen 5,8 Terrawattstunden (TWh) im August 2023. Die Atomstromproduktion im August 2022 belief sich dagegen auf nur 2,9 TWh, also rund die Hälfte. Der Atomausstieg allein kann also die hohe Importquote nicht erklären.
Die Ursachen liegen anderswo: die höhere Stromerzeugung aus Wasserkraft in den Alpen und Skandinavien, der Ausbau kostengünstiger erneuerbarer Energien in den Nachbarländern, und die höhere Verfügbarkeit von französischer Atomkraft im Vergleich zum Vorjahr 2022, als der französische AKW-Park zu beträchtlichen Teilen stillstand und Deutschland aushelfen musste. Hinzu kommen die CO2-Kosten für Kohle.
Die Kohleverstromung brach in ganz Europa ein. In Deutschland stammten nur noch 7,5 TWh aus Kohle, rund die Hälfte der 14 TWh im Vorjahresmonat - und das ganz ohne Kohleausstieg.
Deutschland hat also mehr als genug Stromerzeugungskapazität, aber muss diese nicht einsetzen. Es ist einfach billiger geworden, Strom aus erneuerbaren Energiequellen aus Europa zu importieren. Das senkt hierzulande die Strompreise.
Am meisten Strom importiert Deutschland aus Dänemark (76% regenerativ, Rest fossil), gefolgt von der Schweiz (60% regenerativ,36% Atom) und - erst an dritter Stelle - Frankreich (63% Atom, 25% regenerativ).
“Ob wir Strom importieren oder exportieren, sagt nichts darüber aus, wie viel eigene Erzeugung wir zur Verfügung haben”, sagt daher auch Tim Meyerjürgens, Geschäftsführer des größten deutschen Übertragungsnetzbetreibers Tennet. Kohle und Gas seien “oft teurer als Erneuerbare und auch Atomstrom im Ausland”, so Meyerjürgens. Doch das ändere sich immer wieder: “Wir exportieren zwischenzeitlich, dann importieren wir wieder mehr.”
Hätte der Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke die Importe reduziert? Natürlich ja, aber nur bedingt. Denn die Ursachen für die gestiegene Importquote sind ja vielfältig.
Die wichtigere Frage ist eine andere: Wäre der Weiterbetrieb der drei letzten AKW machbar gewesen? Und da gibt es eben Schwierigkeiten: Es hätten entweder Sicherheitsprüfungen erfolgen müssen - die nur wegen des Atomausstiegs ausgesetzt worden waren - oder man hätte die Sicherheitsstandards senken müssen. Es hätten neue Brennstäbe beschafft werden müssen. Personal hätte wieder eingesetzt werden müssen, das schon anders verplant war.
Der Ökonom Prof. Christian von Hirschhausen von der TU Berlin kommentierte im Handelsblatt: Die Kosten einer Laufzeitverlängerung durch Genehmigungsverfahren, Personal und Sicherheitsüberprüfungen seien "völlig unrentabel". Der Reaktorsicherheitsexperte Prof. Martin Mertins von der TH Brandenburg erklärte: Eine Laufzeitverlängerung sei "äußerst schwierig" und wäre mit einer "gewaltigen Kostensteigerung" verbunden. Die AKW-Betreiberin Preussen Elektra (eine E.on-Tochterfirma) teilte mit: Neue Brennstäbe zu beschaffen, um die AKWs länger am Netz zu lassen, würde über anderthalb Jahr dauern. Der Atomkonzern RWE erklärte: "Die genehmigungsrechtlichen und technischen Hürden für eine Verlängerung wären allerdings sehr hoch."
Stromimporte sind nicht per se schlecht. Wir importieren ja auch Kohle, Öl, Gas und Uran, und keiner findet dabei etwas schlimm oder auch nur ungewöhnlich.
Wer aber findet, wir sollten die Importe reduzieren, für den steht eine einfache Lösung bereit: Je mehr Erneuerbare wir in Deutschland ausbauen, desto günstiger wird der Strom. Und desto weniger müssen wir importieren.
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