Die Manipulation von Abgaswerten in den USA setzt VW mächtig zu. Warum der Skandal zum Fukushima für die Autoindustrie werden muss.
Der Skandal um die gefälschten Emissionswerte bei VW und drohende Strafzahlungen in Milliardenhöhe erschüttert die gesamte deutsche Autoindustrie, die sich zu lange in Selbstsicherheit gewogen hat. Dieses sture, ja nunmehr im Wortsinne kriminelle Festhalten an einem alten Geschäftsmodell und einer alten Technologie, dem fossil befeuerten Verbrennungsmotor nämlich, kann den Selbstmord der deutschen Autoindustrie bedeuten. Doch der Skandal um das Geschäftsgebahren von VW ist nur Symptom einer Zukunftsvergessenheit und Status-Quo-Orientierung mancher deutscher Manager, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben.
Die führende Rolle der Auto-Nation Deutschland ist nicht auf ewig in Stein gemeißelt. Selbstsicherheit kann auch einschläfernd wirken. Der US-Milliardär Elon Musk, der ursprünglich durch seinen Online-Finanzdienstleister PayPal zu Ruhm und Geld gelang, brachte 2006 die Elektrolimousine Tesla Roadster auf den Markt, mit einer Firma, die er erst drei Jahre zuvor gegründet hatte – und ließ andere Luxuskarrossen mit altem Verbrennungsmotor auf einmal blass aussehen. Der neue Tesla S verfügt über 334 PS und 440 Kilometer Reichweite. Der BMW i8, mit dem der Münchner Konzern nachzog, hat zwar zweifellos ein wunderbares Design, aber er ist nicht rein elektrobetrieben, sondern nur ein konventioneller Benziner mit einem kleinen Elektromotor als symbolischer Zugabe – und außerdem fast doppelt so teuer. Der BMWi3 dagegen ist zwar ein reiner Stromer, aber nur ein Kleinwagen mit geringer Reichweite und etwas unglücklichem Design, und außerdem irrsinnig teuer.
Deutschland ist als Absatzmarkt für E-Autos belanglos
„Tesla baut das beste E-Auto der Welt und die deutsche Autoindustrie hat auch drei Jahre nach der Einführung des Tesla S keine Antwort. Es ist peinlich“, wundert sich Don Dahlmann, Automarktexperte des Branchenmagazins Gründerszene. „Da kommt ein Mensch, der keine Ahnung vom Autobau hat, und baut innerhalb von 12 Jahren ein Auto, dem man nichts, aber auch wirklich gar nichts entgegen zu setzen hat. Es ist komplett unverständlich. Wie kann Elon Musk ein solches Auto bauen und wie kann die gesamte deutsche Autoindustrie seit 2012 daran scheitern, den Tesla wenigstens zu kopieren? Die Hersteller können noch froh sein, dass es nicht eine bekannte und etablierte Marke ist, die da auf den Markt drängt. Vielleicht fehlt aber auch genau dieser Druck, damit die deutschen Hersteller endlich mal aufwachen.“ Markus Fasse, Automarktspezialist beim Handelsblatt, warnt: „Die deutschen Autobauer sind im Elektroauto-Markt ins Hintertreffen geraten.“
Laut dem Electric Vehicle Index 2015 der Unternehmensberatung McKinsey haben japanische und chinesische Hersteller inzwischen Deutschlands E-Auto-Industrie überholt, dicht gefolgt von den USA. Während die deutsche Autoindustrie immerhin noch in der ersten Liga mitspielt, ist Deutschland als Absatzmarkt für E-Autos ziemlich belanglos, abgeschlagen irgendwo weit hinter Norwegen, den Niederlanden, Frankreich, den USA und Dänemark.
Andere setzen die Normen und Standards
Im April 2015 landete Elon Musk den nächsten historischen Coup und präsentierte eine Batterie, die Sonnenstrom in Eigenheimen und Fabriken spottgünstig speichern kann und dazu auch noch ein schmuckes Design hat. Thomas Birr, Chefstratege beim Energieriesen RWE, staunte verblüfft: „Wenn uns vor drei Jahren jemand gesagt hätte, die Batteriespeicherung wird bei 250 Dollar pro Kilowatt ankommen, hätten wir den für verrückt erklärt.“ In den USA baut Elon Musk mit der sechs Milliarden Dollar teuren Gigafactory eine riesige Batteriefabrik, in Norwegen kommt eine weitere hinzu, in Deutschland kooperiert Tesla mit dem Ökostromanbieter Lichtblick. Damit dringt Tesla auf den Weltmarkt für Batterien vor, der momentan noch von koreanischen und chinesischen Unternehmen beherrscht wird. Und was macht Deutschland? Die einzige Fabrik für Batteriezellen, die es bei uns noch gibt, hat Daimler im Jahr 2015 geschlossen. BMW und Audo holen sich für ihre Batteriezellen Unterstützung von Samsung, VW lässt sich von Panasonic beliefern, und Mercedes lässt gleich die gesamte Batterie plus Antriebsstrang von Tesla bauen. Heute setzen andere die Normen und Standards. Aus dem Rennen um die Zukunftstechnologie Elektromobilität haben wir uns verabschiedet.
2008 versprach Merkel auf der Nationalen Strategiekonferenz Elektromobilität, dass bis 2020 eine Million Elektroautos auf den Straßen unterwegs sein sollen. 2010 richtete sie eine Nationale Plattform Elektromobilität ein. 2011 verabschiedete sie ein Nationales Regierungsprogramm Elektromobilität. 2012 wiederholte Merkel das „ambitionierte“ Ziel, 2014 nochmals, und 2015 nochmals. Unterdessen verlaufen die tatsächlichen Absatzzahlen schleppend: Nur 18.948 Stromer fahren auf unseren Straßen – von der anvisierten Million ist das Lichtjahre entfernt.
Tatkraft simulieren
Der schleppende Fortschritt mag auch an den Autofahrern liegen. Der deutsche Neuwagenkäufer ist durchschnittlich 52,4 Jahre alt, und er hat im Zweifel keine Lust auf ein Elektroauto. Die Alten wollen den gewohnten Verbrennungsmotor, nur etwas sparsamer. „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde“, sagte einst der legendäre Industriemagnat Henry Ford. In der langen Geschichte des Automobils hat sich diese Mentalität wenig geändert. Junge Menschen, für die der Motor mehrheitlich egal ist, solange das Auto nur fährt, machen allerdings keine sieben Prozent aller Neuwagenkäufer aus. Und sie haben nicht die mehrere tausend Euro extra auf dem Bankkonto, die ein Elektrofahrzeug momentan noch mehr kostet als ein Benziner.
Die Politik simuliert Tatkraft mit „Schaufensterprojekten“, Runden Tischen und Aktionsplänen, um am Ende doch nichts zu tun. Während sich die Merkel-Regierung die Abwrackprämie zur Rettung der kriselnden Autokonzerne unterm Strich 2,6 Milliarden Euro kosten ließ, hatte sie für die Zukunftstechnologie Elektromobilität lächerliche 500 Millionen übrig, die sie in mehr oder weniger sinnvolle Prestigeprojekte schleust. Geld für ein halbwegs flächendeckendes Netz aus Ladestationen will niemand ausgeben, weder der Staat noch die Konzerne, ja nicht einmal ein grün-roter Staatskonzern wie EnBW. In Oslo oder Amsterdam gibt es an jeder Ecke Ladestationen, in Berlin kann man sie fast an der Hand abzählen. Im kleinen Holland gibt es 3700 öffentliche Ladestationen, im großen Deutschland nur 2400.
Die Zukunft wird zum Spottpreis abgehakt
Deutschland könnte Leitmarkt für Elektromobilität sein, doch diesen Rang hat uns Norwegen abgelaufen, angekurbelt von staatlichen Kaufprämien. Beinahe die komplette erste Charge deutscher Elektroautos wie des E-Ups von Volkswagen wurde nach Oslo exportiert, weil sie hierzulande keiner haben wollte. In Deutschland scheitert die Marktankurbelung für Elektromobilität am Bundesfinanzminister. Die Vergangenheit ist uns lieb und teuer, die Zukunft wird zum Spottpreis abgehakt.
Die traditionellen Energiekonzerne wollten den Wandel nicht kommen sehen. Nun stehen sie vor ihrem finanziellen Ruin, weil sie stets zwar werbewirksam behaupteten, „vorweg zu gehen“, aber sich in Wahrheit an ihre alten Geschäftsmodelle klammerten. Erst eine Atomkatastrophe brachte das Umdenken. Solange das fossil-atomare Geschäftsmodell noch funktionierte, haben sich die Konzerne nicht bewegt. Und als sie sich endlich bewegten, war es zu spät. Wenn die Wirtschaft aus ihren Fehlern lernt, dann darf der gleiche Fehler nicht noch einmal passieren – in diesem Fall der Autoindustrie.
Deutschland hat den Anschluss verloren
Wenn wir ins Silicon Valley blicken, sehen wir Innovationen, die in Deutschland durchaus hätten stattfinden können, weil Know-How, Infrastruktur und Kapitel da wären. Aber bei den Konzernspitzen wurde die Forschung in Bereichen wie Elektromotor, Batterien oder Software im Hinterkopf unter „ferner liefen“ und „ganz weit weg“ abgeheftet. Erst als Tesla, Google oder Apple mit dem Kopf durch die Wand vorpreschten, wurden das selbstlenkende Auto und Elektromobilität endlich zu Themen auf dem Vorstandstisch. Erst jetzt schrieben sich alle großen Autobauer das neue Prestigeprojekt auf die Fahnen. Bis dahin wurde den Kunden immer eingetrichtert, dass sie ein selbstlenkendes Auto gar nicht wollten, weil damit ja der Fahrspaß verlorengehe.
Die Autobosse geben Entwarnung: Google mache zwar gute PR, aber schlechte Autos, und deswegen habe man nichts zu befürchten. Andere sind da skeptischer. Hinter verschlossenen Türen stimmte Martin Winterkorn, damals noch als VW-Chef gefeiert, seine Mitarbeiter auf andere Zeiten ein. „Digitalisierung und Elektromobilität stellen unser Geschäftsmodell grundlegend infrage“, sagte er bei einer internen Tagung im Juli 2015. Neue Wettbeweber wie Google, Apple und die chinesische Baidu wollten den Takt vorgeben. „Wir stehen am Beginn einer historischen Wende. Der Lackmustest steht uns noch bevor.“
Nie zuvor hatte Winterkorn den Umbruch in derart deutlichen Worten beschrieben. Als Gerüchte um das Apple-Auto durchsickerten, warnte der seinerzeit bestbezahlte Manager des Landes unumwunden, Deutschland habe bei der Digitalisierung den Anschluss verloren. Es gebe „teilweise erhebliche Schwachstellen“ in der Industrie. „Warum investieren wir nicht zumindest einen Teil der Steuereinnahmen in unsere Zukunftsfähigkeit – also in die digitale Bildung der jungen Menschen, in die Batterietechnologie, in Big Data und künstliche Intelligenz?“
Eine gute Frage, die sich nach seinem skandalumwitterten Abgang umso dringender stellt. Der VW-Skandal ist ein Weckruf für die deutsche Autoindustrie. Es fragt sich nur, ob sie einen Weckruf wirklich will – oder lieber ein Weckglas, um den fossilen Verbrennungsmotor für immer vor dem Wandel der Zeit zu versiegeln.
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