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AutorenbildWolfgang Gründinger

Lobbyisten als Politiker - und andersherum

Aktualisiert: 14. Dez. 2020



Gegen Ende ihrer Laufbahn wechseln Politiker/-innen oftmals in die Wirtschaft. Einflussreiche Interessenvertreter/-innen qualifizieren sich nicht selten auch für politische Ämter. Dieser „Drehtür-Effekt“ muss nicht immer gleich Korruption bedeuten, ein gesundes Misstrauen sei jedoch angebracht, meint der Publizist und Demokratieforscher Wolfgang Gründinger in einem Gastbeitrag für „Die Netzdebatte“ der Bundeszentrale für politische Bildung.


Das Satiremagazin Postillon brachte die Nachricht im Januar 2014 angeblich zuerst: Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) wechsle als Lobbyist zur Deutschen Bahn. Als die scheinbare Satiremeldung sich doch als Tatsache erwies, wurde harsche Kritik laut: Ein einzelner Konzern verschaffe sich unredliche Vorteile auf Kosten der demokratischen Aushandlung des Gemeinwohls.


Der Casus Pofalla war indes nicht die erste bekannt gewordene „Drehtürkarriere“: Interessengruppen rekrutieren scheidende Politiker/-innen, um sich deren intime Kenntnisse des politischen Betriebs und persönliche Netzwerke zunutze zu machen. In den USA haben etwa 80 Prozent aller Lobbyist/-innen zuvor für den Kongress oder die Regierung gearbeitet. Ähnliche Muster scheinen auch für Deutschland plausibel; detaillierte Analysen liegen jedoch nicht vor.


Auch andersherum profitieren Interessengruppen, wenn ihre Mitarbeiter/-innen in Behörden oder Parlamente wechseln oder gar als gewählte Politiker/-innen unmittelbar als „eingebaute“ Lobbyist/-innen fungieren. Beides öffnet privilegierte Kanäle für den Einfluss bestimmter Interessengruppen.


Das Problem dabei ist nicht der Austausch zwischen Politik und Wirtschaft an sich; schlechterdings würde ansonsten eine in sich geschlossene politische Kaste gebildet werden, und ein Berufsverbot ist schwerlich vorstellbar. Bedenken kommen allerdings dann auf, wenn ehemalige Politiker/-innen als Lobbyist/-innen in den Feldern tätig werden, für die sie zuvor in ihrem politischen Mandat verantwortlich waren. Dann liegt der Verdacht nahe, dass sie ihr Mandat darauf verwendeten, bestimmten Interessengruppen Vorteile zu verschaffen und sich damit als Kandidat für spätere lukrative Stellen zu präsentieren. Dieser Verdacht streut Zweifel an der Integrität des politischen Personals und bringt die Demokratie in Misskredit.


Das wohl prominenteste Beispiel für einen solchen Wechsel ist Gerhard Schröder (SPD). Nach seiner politischen Laufbahn ging er als Aufsichtsratschef zur Nord Stream AG, dem von der russischen Gazprom dominierten Betreiberkonsortium der Ostseepipeline – ein umstrittenes Projekt, das er zuvor als Bundeskanzler maßgeblich vorangetrieben hatte. Auch die Wirtschaftsminister seiner beiden Amtszeiten Werner Müller und Wolfgang Clement wechselten in die Energiewirtschaft: Müller als Vorstandsvorsitzender der Ruhrkohle AG, Clement als Aufsichtsratsmitglied u.a. der RWE Power AG. Da beide Minister sich während ihrer politischen Laufbahn für die Interessen der fossilen Energiewirtschaft eingesetzt hatten, liegt der Verdacht nahe, dass sie für ihr Entgegenkommen belohnt werden sollten. Zudem konnten sich die Unternehmen dadurch politische Kontakte und Informationen einkaufen, die ihnen Vorteile gegenüber ihrer Konkurrenz verschafften. Erhebliche Bedenken erregte auch der jüngste Wechsel des ehemaligen Bundesentwicklungsministers Dirk Niebel (FDP) zum Rüstungskonzern Rheinmetall, wo er seit 2015 den Vorstand berät. Dass ausgerechnet ein Entwicklungshilfeminister sich nun als Rüstungslobbyist betätigt, sorgte für starke Kritik in Medien und Zivilgesellschaft.


Aber auch die umgekehrte Route von der Wirtschaft in die Politik (und wieder zurück) ist bekannt: Gerald Hennenhöfer war zunächst Generalbevollmächtigter für Wirtschaftspolitik beim Atomkonzern Viag (der heutigen E.ON), wechselte anschließend ins Bundesumweltministerium als Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit (1994-1998), kehrte zu E.ON zurück, wo er die Verhandlungen mit der rot-grünen Bundesregierung über den Atomausstieg führte, bis er schließlich erneut zum Abteilungsleiter im Umweltministerium berufen wurde (2009-2014) und in dieser Funktion u.a. mit der Laufzeitverlängerung und dem Ausstiegsbeschluss nach Fukushima befasst war.


Solche personellen Besetzungen sind natürlich nicht nur der Wirtschaft vorenthalten: Auch Vertreter zivilgesellschaftlicher Interessenverbände finden sich in politischen Ämtern wieder. Im aktuellen Kabinett Merkel betrifft dies etwa Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, der zuvor u.a. dem Naturschutzbundes (NABU) vorsaß, sowie Rainer Baake (Grüne), Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und zuvor u.a. Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe.


Spektakuläre Fälle entsprechen allerdings nicht der faktischen Situation. In der Tat sind Drehtürkarrieren oder hohe Nebeneinkommen von Parlamentarier/-innen eher die Ausnahme als die Regel. Von allen 63 Amtsträger/-innen der letzten rot-grünen Bundesregierung (2002-2005) beispielsweise wechselten nur 22 in eine lobbyismusnahe Tätigkeit. Und nur eine Minderheit der Bundestagsabgeordneten bezieht ein Nebeneinkommen in nennenswerter Höhe; etwa drei Viertel erhalten gar kein Nebeneinkommen. Nur sechs Abgeordnete, also nicht einmal 1 Prozent aller Abgeordneten, gehen einer entlohnten Nebentätigkeit im Energiesektor nach, obwohl die Energiepolitik als besonders berüchtigtes Feld für Lobbyismus gilt.


Das Problem ist also nicht die hohe Anzahl der personellen Querverbindungen, sondern das asymmetrische Verhältnis zwischen finanziell reichlich ausgestatteten Interessengruppen, die es sich leisten können, (ehemalige) Politiker mit lukrativen Posten zu locken, und solchen, die dies nicht können. Zudem kann selbst eine geringe Zahl an Seitenwechseln das Ansehen des gesamten politischen Personals in Mitleidenschaft ziehen und das Vertrauen in die Demokratie schädigen.


Im Juli 2015 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das Kabinettsmitgliedern bei einem Wechsel in die Wirtschaft eine Sperrzeit von bis zu 18 Monaten vorschreibt. Mehrere Organisationen, darunter Transparency Deutschland und LobbyControl, forderten bereits länger eine solche „Abkühlphase“ für Minister/-innen und Staatssekretäre/-innen. Wenn die neue Tätigkeit in der Wirtschaft einen Zusammenhang mit der bisherigen Tätigkeit in der Politik aufweist, fordern sie eine Karenzzeit von drei Jahren (für Beamte beträgt die Sperrzeit aktuell fünf Jahre und auf EU-Ebene für Kommissionsmitglieder 18 Monate).

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