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AutorenbildWolfgang Gründinger

Kann Demokratie Nachhaltigkeit?

Aktualisiert: 15. Feb. 2021




Gerade in Zeiten multipler Krisen - mit der Covid-Pandemie, der Klimakrise, der digitalen Disruption - fragen sich viele: Ist die Demokratie zukunftsfähig? Werden wir noch mit den Krisen des 21. Jahrhunderts fertig?


Richard von Weizsäcker sagte einmal: “Demokratie ist auf einem Strukturproblem aufgebaut, nämlich der Verherrlichung der Gegenwart und der Vernachlässigung der Zukunft.” Wir können und möchten nicht anders regiert werden als durch auf Zeit gewählte Vertreterinnen und Vertreter. Dieser Mechanismus führt aber dazu, dass Demokratie auf die aktuellen Wählerinnen und Wähler und deren Gegenwartsinteressen ausgerichtet ist - und damit strukturell kurzsichtig.


Gerade in Deutschland sind diese Wähler:innen zudem sehr alt. Ein Drittel aller Wähler:innen ist über 60 Jahre alt, die Hälfte der SPD- und CDU-Mitglieder ist über 60 Jahre alt. Die Jugend kommt da kaum noch vor.


Und selbst die wenigen Jugendlichen, die es gibt, haben keine Stimme. 13 Millionen Menschen in Deutschland, mit deutschem Pass, sind vom Wahlrecht ausgeschlossen, weil sie unter 18 Jahre alt sind. Die Jugendlichen, die in den letzten Jahren für Klimaschutz oder gegen Uploadfilter auf die Straßen gegangen sind, haben kein Wahlrecht.


Künftige Generationen zählen überhaupt nicht, weil sie sind noch nicht geboren. Es zählen nur die Interessen der Gegenwart.


Politiker:innen können über die Wahl hinausdenken. Aber sie riskieren, dafür abgestraft zu werden. Weil wir Menschen den heutigen Verlust für schwerer empfinden als mögliche Gewinne, die erst in der Zukunft liegen. "Reformen, die erst in weiterer Zukunft ihre Früchte tragen, sind für Politiker, die wiedergewählt werden wollen, auf dem Wählermarkt irrational", sagt der Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang Merkel von der Humboldt Universität zu Berlin.


Zugleich lähmt das mühsame Ringen um Konsens, Bürger:innen-Beteiligung und gerichtliche Klagen die schnelle und konsequente Umsetzung von Maßnahmen.


Es ist schwer vorstellbar, dass in einem solch trägen und gegenwartsfixierten System radikale Maßnahmen in der nötigen Geschwindigkeit umgesetzt werden können - sei es im Kampf gegen die Klimakrise, bei der Eindämmung von Pandemien, oder beim Wettrennen um Künstliche Intelligenz und digitale Plattformen.



"Die Demokratie ist das beste Regierungssystem, das wir haben. Aber sie hat eine Macke: Sie ist orientiert an Legislaturperioden." Franz Müntefering

"Ich fahre auf Sicht." Angela Merkel


China als Vorbild?


China und andere autoritäre Regimes präsentieren sich daher gern als das bessere Regierungssystem: Sie können tiefgreifende Maßnahmen zentral und von oben verordnen. In der Tat stärkt China sein Profil im Klimaschutz, mit massivem Ausbau erneuerbarer Energien und einem ambitionierten Klimaziel. Kein anderes Land investiert so viel in regenerative Energie wie China, die 2019 bereits 26 Prozent der gesamten Stromnachfrage deckten. Allein 2020 baute China doppelt so viele Anlagen für Wind- und Solarenergie wie im Jahr zuvor. Die Covid-Krise bekam China dank drakonischer Eingriffe schnell unter Kontrolle. Und auch im Wettlauf um digitale Vorherrschaft hat China uns weit überholt.


In der Tat ist die chinesische Erfolgsbilanz erstaunlich. Das heißt aber nicht, dass autoritäre Staaten an sich bessere oder nachhaltigere Politik betreiben würden. In Sachen Klimaschutz ist sogar das Gegenteil empirisch belegt: Der jährliche Klimaschutz-Index von Germanwatch dokumentiert, dass autoritäre Regierungen die größten Klimaverschmutzer sind. Und auch demokratische Staaten, die seit einigen Jahren autoritäre Tendenzen zeigen (wie die USA unter Trump, aber auch Polen oder Brasilien), fielen zugleich im Klimaschutz zurück.


Autokratische Regierungen bauen ihre Legitimation vor allem auf einem wirtschaftlichen Wohlstandsversprechen. Wenn dieses Versprechen zerbricht, verschwindet auch Klimaschutz schnell wieder von der Tagesordnung. Demokratie mag langsamer sein, aber auch sie ermöglicht wirksame Krisenbewältigung. Bei der Europawahl 2019 war Klimaschutz das zweitwichtigste Motiv für die Wahlentscheidung. Und Klimaschutz geht auch in Europa und den USA voran - dort vor allem dank dezentraler Akteure, die auch unter der Trump-Präsidentschaft den Kohleausstieg vor Ort vorantrieben.


Selbst wenn es so wäre, dass autoritäre Systeme die nachhaltigere Politik betreiben würden: Wir schützen das Klima nicht um des Klimas willen, sondern um des Menschen willen. Und was wäre der Mensch ohne Menschenrechte? Ich bin Klimaschutz-Aktivist, seit ich 15 bin, und ich habe diesen einen Satz immer für richtig gehalten.


Demokratie zukunftsfähig machen


Aber damit möchte ich mich nicht zufrieden geben. Es gibt Möglichkeiten, unsere Demokratie weiterzuentwickeln. Denn Demokratie ist nicht gleich Demokratie: Die Schweizer machen es anders als die Briten, die USA anders als wir Deutschen. Demokratie kann sich selbst neue Regeln setzen, um etwas weitsichtiger zu werden.


Erstens schlage ich ein Wahlrecht für Jugendliche vor. Ein erster Schritt ist die Senkung auf 14 Jahre. In allen demokratischen Parteien in Deutschland kann man schon ab 14 Mitglied werden. Da ist man auch bereits religionsmündig. Diese Grenze bietet sich also an. Darüber hinaus sollte aber jede und jeder auch schon vor diesem Alter wählen dürfen, wenn sie oder er das möchte. Es gibt keinen Grund, einzig und allein junge Menschen von der Wahl auszuschließen. Sie sollten mitbestimmen dürfen genauso wie die Alten und wie alle anderen auch.


Zweitens brauchen wir eine Jugendquote, und zwar nicht nur in Parteien, sondern überall da, wo die Zukunft der jungen Menschen verhandelt wird. Bei den Bildungsreformen haben Lehrer und Eltern mitgesprochen, aber nicht die Schüler - also die, um die es doch eigentlich geht! In der Renten-Kommission der Regierung, im Fernsehrat der öffentlichen Medien, ja sogar im Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung gibt es zu 90%, manchmal sogar zu 100%, nur alte und sehr alte Menschen. Ich finde, das darf nicht so bleiben.


Drittens möchte ich gern über eine Art Jüngstenrat diskutieren. Es gibt ja schon sehr viele Räte für Umweltfragen, aber das sind zum großen Teil Papiertiger ohne Kompetenzen und ohne Budget. Ich fände es besser, wenn man eine Art ständige Enquete-Kommission im Bundestag hätte, halb besetzt mit Abgeordneten, halb besetzt mit jungen Menschen, die z.B. der Bundespräsident ernennen könnte. Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung könnte dahingehend reformiert und aufgewertet werden. Dieser Jüngstenrat - im Gegensatz zum Ältestenrat im Bundestag, den es ja bereits gibt - könnte z.B. das Recht zu Gesetzesvorlagen bekommen, das Recht, aktuelle Stunden im Bundestag zu beantragen, und so weiter. Das würde die Weitsichtigkeit im Parlament ein Stück weit stärken.


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