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AutorenbildWolfgang Gründinger

Ist Deutschland der Geisterfahrer der Energiepolitik?

Aktualisiert: 24. Juli


Ein Verkehrsschild, das "Wrong Way" beinhaltet

“Deutschland ist der energiepolitische Geisterfahrer!”, heißt es in vielen Social-Media-Posts. Angeblich würde alle Welt auf Kohle und Atomkraft setzen, nur allein Deutschland nicht. Ich habe mir die Zahlen einmal genauer angeschaut.


Der Anteil von Atomkraft am weltweiten Strommix sank von 15% in 1985 auf 9% in 2023 - ein Minus von über einem Drittel. Der Anteil von Kohle zeigte weltweit keine so drastische Reduktion, sank aber ebenfalls leicht.



Alle Erneuerbaren - also Wasserkraft, Biomasse, Wind und Solar zusammen - erzeugen bereits jetzt im Jahr 2024 mehr Strom als Gaskraftwerke oder Atomkraft. Bereits im kommenden Jahr 2025 werden sie auch die Kohle überholen, so die Daten der International Energy Agency (IEA).


Grafik: IEA


Schauen wir uns einzelne Länder an:


In den USA, Großbritannien und der EU sinkt Anteil der Kohleverstromung am Strommix.


Selbst China liegt unter dem Wert von 1985! 




Deutschland steigt zwar aus der Kohle aus - aber sieben andere Länder sind schneller: Griechenland, Großbritannien, Dänemark, Spanien, Portugal, Israel und Rumänien. Gleich hinter Deutschland folgen die USA und Chile auf Platz 9 und 10. 


Von diesen zehn Ländern betreiben nur noch Spanien, Rumänien und die USA Atomkraftwerke. Das heißt: Sieben der zehn Länder mit dem schnellsten Kohleausstieg betreiben auch keine Atomkraftwerke.


Liste der zehn Länder mit dem schnellsten Kohleausstieg

Grafik: WRI


Was aber massiv ausgebaut wird, ist Solar und Wind. Diese Grafik zeigt den Zubau von Solarenergie:




Der Finanzdienstleister Bloomberg hat in einer Grafik zusammengestellt, welches Land welche Energiequellen am meisten ausbaut.


Gelb steht für Solar, Blau für Wind - und man sieht: Alle großen Industrie- und Schwellenländer setzen auf Erneuerbare.


(Ein Nachteil der Grafik ist, dass die installierte Leistung erfasst wird, nicht die zusätzliche Produktionsmenge, die sich je nach Energiequelle unterscheidet; dies ändert aber nichts an der Tendenz).


Weltkarte, die die beliebteste Energiequelle in den Ländern zeigt

Grafik: Bloomberg



Dänemark: weniger Kohle, kein Atom, mehr Solar & Wind


Schauen wir uns alle unsere Nachbarländer an. Fangen wir im Norden an: mit Dänemark.


In Dänemark stürzte der Kohleanteil im Strommix regelrecht ab: von 46% im Jahr 2000 auf unter 8% im Jahr 2023.


Zugleich stieg Solar von 0 auf knapp 10%, und Wind von knapp 12% auf knapp 58%.


Atom bleibt unverändert nicht existent.



Polen: weniger Kohle, kein Atom, mehr Solar & Wind


Gehen wir weiter nach Polen. Auch im traditionellen Kohleland sinkt der Kohleanteil: von fast 95% (!) im Jahr 2000 auf 61% im Jahr 2023.


Zugleich legten die Erneuerbaren zu: Solar stieg auf 7%, Wind auf 14% - ausgehend von 0 im Jahr 2000.


Auch Polen hat keine Atomkraftwerke.




Tschechien: weniger Kohle, mehr Atom


Ein "Outlier" ist Tschechien: Seit dem Jahr 2000 verdoppelte sich dort der Atomanteil von ca. 20% auf heute 40%. Dafür sank der Kohleanteil drastisch von ca. 70% auf nur noch 40%. Die Erneuerbaren kommen hier kaum voran.




Österreich: Land der Wasserkraft


Gehen wir von Tschechien aus weiter zum südlichen Nachbarn Österreich. Das Alpenland ist mit 60% Wasserkraft gesegnet. Der Rest kommt vor allem aus Wind (12%), Gas (11%) und Bioenergie (8%). Atomkraft gibt es nicht, Kohle ist marginal bei knapp über 0%.



Schweiz: Wasser & Atom


Unser südwestlicher Nachbar, die Schweiz, versorgt sich in erster Linie aus Wasserkraft (54%), gefolgt von Atomkraft, wobei der Atomanteil von 40% im Jahr 2000 auf 34% im Jahr 2023 fiel. Solarenergie stieg zugleich von 0 auf 6%.




Frankreich: Atom rückläufig, mehr Wind & Solar


Kommen wir zu unserem großen westlichen Nachbarn: Frankreich setzt auf Atomkraft mit einem Anteil von 65%, wobei der Anteil im Vergleich zum Jahr 2000 rückläufig ist: Damals waren es noch 78%, also zwölf Prozentpunkte mehr.


Zugleich baute Frankreich Solar und Wind aus: von jeweils 0 auf knapp 5% bzw. knapp 10% heute.




Belgien: Atom rückläufig, mehr Wind & Solar


Derselbe Trend wie in Frankreich gilt auch für Belgien, das ebenfalls traditionell auf Atomkraft setzt. Das Land wird geplagt durch Versorgungsunterbrechungen von Atomkraftwerken, die für einen regelrechten Zickzack sorgen.


Vom Jahr 2000 mit 58% sank der Atomanteil auf 40% im Jahr 2023.


Wind legte drastisch zu von 0 auf knapp 19%, Solar von 0 auf 9%.


Gas blieb in etwa gleich um die 20%, nach einem vorübergehenden Hoch um 2010.




Niederlande: Wind- & Solar-Revolution


Unser nordwestlicher Nachbar, die Niederlande, setzen ebenfalls massiv auf Wind und Solar. Wind kletterte von 1% auf fast 24%, Solar von nahe 0 auf über 17% vom Jahr 2000 bis 2023.


Zugleich fiel Kohle drastisch von 28% auf unter 7%.


Atom fiel von 4,5% auf 3%.


Gas fiel von 58,5% auf unter 38%.




Unsere Nachbarländer setzen auf Solar & Wind statt auf Kohle & Atom


Die Übersicht zeigt: Fast alle unsere Nachbarländer bauen Solar und Wind aus, teilweise sogar massiv. Selbst das traditionelle Kohleland Polen baut die Erneuerbaren aus, während der Kohleanteil sinkt. Dasselbe gilt für die Atomländer Frankreich und Belgien, wo der Nuklearstrom seit Jahren abfällt. Wenn also Deutschland der Geisterfahrer bei der Energiepolitik ist - wer sind dann alle anderen?


Das einzige Land, das überhaupt nicht auf Erneuerbare und dafür stark auf Atomkraft setzt, ist Tschechien. Tschechien ist der Geisterfahrer - nicht Deutschland.






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