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AutorenbildWolfgang Gründinger

Hilft Atomkraft gegen die Gaskrise?



Atomkraft als Beitrag gegen die Gaskrise? Ein Streckbetrieb der drei verbliebenen AKWs in Deutschland kann helfen, aber viel weniger als manche glauben - und ist nur mit Müh und Not überhaupt machbar.



Atom hilft nur wenig


Das Argument lautet in der Regel, dass jede von der Atomkraft produzierte Kilowattstunde eine von Gaskraftwerken produzierte Kilowattstunde weniger wäre.


Die Realität ist komplexer. Atomkraft stellt größtenteils Grundlastbetrieb mit geringer Flexibilität bereit. Man sehe sich nur eine beliebige Tagesübersicht der Stromerzeugung an, und die Kurve bei der Atomkraft ist sehr flach - sie passt sich überhaupt nicht an die Nachfrage an. Gas hingegen wird als flexible Stromerzeugung eingesetzt, um die Lücke zwischen der Nachfrage und den laufenden Kraftwerken (Atom, Solar, Wind) zu schließen.


Mehr Kernenergie würde daher vor allem zu mehr Exporten führen, derzeit vor allem nach Frankreich (wo die Hälfte aller Atomkraftwerke stillsteht). Gas würde weiterhin für die Feinabstimmung des Systems genutzt.


In der Gaskrise kann Atom daher kaum etwas zur Lösung beitragen. Das stellen auch die Atomkonzerne in einem Gesprächsprotokoll fest: Demnach könne Atomkraft "in einer Situation der Gasmangellage nur wenig Gas ersetzen." Der Streckbetrieb könnte laut Bundeswirtschaftsministerium nur etwa 2% des Gasverbrauchs einsparen, was weniger als 10% des Gases im Stromsektor entspricht. Erstaunlich wenig, aber immerhin etwas.


Manche suggerieren, an der Gaskrise seien die vermeintlich unzuverlässigen Erneuerbaren Energien schuld, da diese mehr Regelenergie zur Stabilisierung bräuchten. Das ist aber mitnichten der Fall. Der Gasverbrauch hat sich in Deutschland in den letzten 20 Jahren kaum verändert - trotz der massiven Umstellung von großen Atom- und Kohlekraftwerken auf vermeintlich unzuverlässige erneuerbare Energien, die sich nämlich hervorragend ergänzen und stabiler sind oftmals geglaubt. (Siehe Blogbeitrag: "Was tun, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht?")


Ein Blick nach Frankreich zeigt: Dort ist die Abhängigkeit viel größer. Denn das Land setzte in der Vergangenheit einseitig auf Atom. Nun stehen ausgerechnet während der Gaskrise die Hälfte der französischen AKWs still: Im Notkühlsystem wurden Korrosionsschäden entdeckt, die nun geprüft und gewartet werden müssen. Zudem sind viele Meiler stark überaltert. Während der Pandemie brauchten die Wartungsarbeiten länger als sonst. Und da die Flüsse austrocknen, führen sie weniger Kühlwasser - auch das ist ein Hemmnis für die französische Atom-Flotte. Nun ist Frankreich auf Stromimporte aus Deutschland angewiesen - auch aus Gas.



Abstriche bei der Reaktorsicherheit


Die Umsetzung eines Streckbetriebs - oder gar einer tatsächlichen Laufzeitverlängerung - ist allerdings alles andere als einfach, sondern erfordert gewaltige Anstrengungen bei der organisatorischen Umsetzung und bei der Gewährleistung des sicheren Betriebs.


In einem gemeinsamen Protokoll eines Gesprächs mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von Anfang 2022 halten die Atomkonzerne E.on, RWE und EnBW fest: Eine Laufzeitverlängerung sei "nur sinnvoll, wenn entweder die Prüftiefe der grundlegenden Sicherheitsanalyse verringert würde und/oder auf weitere Nachrüstungsmaßnahmen (...) verzichtet würde." Im Klartext: Mehr Atom geht nur auf Kosten der Sicherheit.


Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, sagt hierzu: "Die Abfallmengen werden sich bei einem Streckbetrieb mit bereits genutzten Brennelementen nicht erhöhen. Aber es geht nicht nur um das Umstellen eines Schalters. Jede Laufzeitverlängerung, egal ob Streckbetrieb oder befristete Verlängerung, bringt weitere Herausforderungen mit sich. Im Atomgesetz sind zahlreiche sicherheitstechnische Aspekte formuliert, etwa die Periodischen Sicherheitsüberprüfungen, die zuletzt 2009 stattfanden, und nur wegen des nahenden Abschaltens 2019 nicht mehr erfolgen musste." (Tagesspiegel Background, 8.8.2022)


Ein TÜV-Gutachten bescheinigte den AKWs zwar, dass ein Weiterbetrieb sicher sei. Allerdings: Das Gutachten ist nur drei Seiten lang und war schon nach einer Woche fertig. Das für Reaktorsicherheit zuständige Bundesumweltministerium erklärte daher, "dass die TÜV-Stellungnahme und die Schlussfolgerungen daraus nicht im Einklang mit höchster Rechtsprechung, geltenden Vorschriften & Maßstäben der AKW-Sicherheit stehen".


Wolfram König kommentiert das TÜV-Gutachten: "Mich hat es erstaunt, dass ein Sachverständiger eine Bewertung trifft, die erst auf Grundlage z.B. der noch zu erbringenden Periodischen Sicherheitsüberprüfung und entsprechender Betreibernachweise möglich wäre. Sicherheitsgarantien für die Zukunft ohne entsprechende Nachweise abzugeben, ist mehr als mutig und entspricht auch nicht dem internationalen Standard nach dem Sicherheitsbewertungen im Atombereich vorgenommen werden."


Ein Laufenlassen der AKWs - sogar wenn es nur im Streckbetrieb wäre - würde den Staat zudem stark belasten. Denn die Profite würden privatisiert, die Lasten sozialisiert, so König: "Außerdem haben die Betreiber gegenüber der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht, dass sie im Falle eines von der Politik gewünschten Weiterbetriebs die damit verbundenen Risiken nicht übernehmen würden – der Staat würde also haften müssen. Auch die finanziellen Mehrkosten der Laufzeitverlängerung würde der Bund stemmen müssen."


Der Atomkonzern RWE erklärte: "Die genehmigungsrechtlichen und technischen Hürden für eine Verlängerung wären allerdings sehr hoch."


Dem muss man sich bewusst sein: Ein Streckbetrieb wäre sicherlich machbar, aber nur mit großem Aufwand machbar.



Höchstens Streckbetrieb für wenige Monate


Streckbetrieb bedeutet: Die bereits bestehenden Brennstäbe werden über den Winter weitergenutzt, aber neue Brennstäbe werden nicht gekauft. So verlängert man den Betrieb. Es fällt aber nicht mehr Atommüll an, und es müssen keine neuen Brennstäbe besorgt werden.


Neue Brennstäbe zu beschaffen, um die AKWs länger am Netz zu lassen, würde über anderthalb Jahr dauern. Das erklärte zumindest die AKW-Betreiberin Preussen Elektra (eine E.on-Tochterfirma).


Außerdem müsste man sich erstmal nach neuen Lieferanten umsehen, so Preussen Elektra: "In den letzten Betriebsjahren unserer Kraftwerke haben wir das für die Brennelemente benötigte Uran aus Kasachstan und Russland sowie in geringen Mengen aus Kanada bezogen."

Unabhängig von Russland dank Atomkraft wird man also nicht.


Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien


Im Rahmen einer Güterabwägung kann man durchaus zum Schluss kommen, dass ein Streckbetrieb der drei verbliebenen AKWs Sinn ergibt. Jede Kilowattstunde drückt den Strompreis, und auch nur 1% oder 2% weniger Gasverbrauch sind immerhin besser als nichts.


Viel bringt die Atomkraft aber nicht. Die Debatte der Atom-Ideologen lenkt ab von anderen Maßnahmen. Die einfachste Maßnahme: Heizstäbe für Warmwasserkessel, die ohne großen Aufwand eingebaut werden könnten, um den Gasbedarf für die Warmwasserbereitung reduzieren könnten. Warum spricht man darüber nicht? Heizstäbe sind wohl nicht Sache der Ideologen.


Mit Atom, Öl und Gas bleiben wir erpressbar durch Diktaturen. Der einzige Ausweg aus der Energiefalle sind die Erneuerbaren Energien. Solar und Wind, E-Autos und Wärmepumpen, smarte Netze und grüner Wasserstoff sind die Freiheitstechnologien der Zukunft.


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