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AutorenbildWolfgang Gründinger

Was kostet die Energiewende?

Aktualisiert: vor 2 Tagen


Windräder

Die Energiewende verschlingt Unmengen an Geld? Diese Behauptung wird häufig geäußert, ist aber kaum belegt. Das zeigt ein Blick auf aktuelle Studien.



EY für den BDEW 2024: "Keine Pleite, sondern Boom"


“1,2 Billionen für die Energiewende - Kann Deutschland sich DAS leisten?”, fragt die Bild-Zeitung. Was aber kostet die Energiewende wirklich?


Tatsächlich klingt die Summe von 1,2 Billionen unglaublich teuer. Die Zahl stammt aus einer Studie der Unternehmensberatung EY im Auftrag des Bundesverbands Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), in dem die Kraftwerks- und Netzbetreiber organisiert sind. Diese Summe müsste die deutsche Volkswirtschaft (also Staat und Privatwirtschaft) bis 2035 ausgeben, um die Energiewende zu schaffen, pro Jahr also ca. 120 Milliarden.


Allerdings wird oft eine simple Tatsache vergessen: Kosten ≠ Investitionen! Das Wort “Kosten” kommt in der EY-Studie nicht einmal vor. Die Rede ist stattdessen von “Investitionen” - und wie jeder Wirtschaftsstudent weiß: Das ist nicht dasselbe! Investitionen sind keine konsumtive Ausgabe, die dann weg ist. Sondern sie schaffen (oder erhalten) einen Kapitalstock in Form von langlebiger Infrastruktur. Und dieser Kapitalstock wirft Wertschöpfung ab. Die EY-Studie hat errechnet: Allein der Bau der Infrastruktur erzeugt ein Wertschöpfungspotenzial von jährlich 52 Milliarden Euro. Die meiste Wertschöpfung entsteht jedoch erst durch den Betrieb der Infrastruktur, z.B. durch die erneuerbare Energieerzeugung mit null Grenzkosten. Aus methodischen Gründen nennt EY hier allerdings keine Zahlen.


Hinzu kommt: Es gibt kein Vergleichsszenario. Ob 1,2 Billionen nun viel oder wenig Geld ist, müsste man wissen, was ein “Weiter so” ohne Energiewende kostet. Beispielsweise für den Ersatz oder die Instandhaltung alter fossiler Kraftwerke, fossile Infrastrukturen, Brennstoffe und CO2-Kosten. Die Nordstream 2 Pipeline kostete beispielsweise fast acht Milliarden Euro (fast doppelt so viel wie ursprünglich geplant) - und ist jetzt zerstört. Da die Studie kein Vergleichsszenario mitliefert, kann niemand sicher sagen, ob der neue Pfad wirklich so viel teurer ist.


"Die Studie wurde von einigen Medien missverständlich dargestellt”, schrieb mir daher auch Christian Bantle, Chefvolkswirt beim Energiewirtschaftsverband BDEW. “Nach Auffassung der deutschen Energiewirtschaft sind die errechneten Investitionen nicht nur tragfähig, sondern generieren substanzielle Wertschöpfung und tragen somit zum nicht nur zum Klimaschutz sondern nachhaltig zum Wirtschaftswachstum bei.“


Auch Jens Südekum, Wirtschaftsprofessor an der Uni Düsseldorf, sagt zur EY-Studie: „Notwendige Investitionen in Höhe von 1,2 Billionen Euro – das klingt erstmal riesig. Aber bei Licht betrachtet, ist der Umfang überschaubar und gut zu schaffen.“ Die Investitionen rentierten „ganz handfest in Form von Wachstum, Wertschöpfung und zunehmenden Exporten“. Selbst die Bild kommentiert: “Heißt: keine Pleite, sondern Boom!”


Prof. Veronika Grimm 2024: nicht teurer als heute


Die Wirtschaftsweise Prof. Veronika Grimm errechnete in einer Studie 2024, dass die Stromkosten bis 2040 inflationsbereinigt etwa auf dem Niveau von 2021 liegen würden. Zwar würden die Stromerzeugungskosten von Solar und Wind weiter sinken (auf dann bis 2,6 Cent pro kWh bei Solar und 4,7 Cent bei Wind). Allerdings seien Batterien und Wasserstoffkraftwerke als Backup nötig, was bei einer Gesamtkostenbetrachtung berücksichtigt werden müsse. So kommt Grimm auf einen Strompreis von 7,8 Cent - etwa so hoch wie 2021 (natürlich plus Steuern und Abgaben). 


Zentral ist hierbei aber die Annahme, dass die Stromnachfrage überhaupt nicht flexibel auf das fluktuierende Angebot reagieren kann. Würde die Stromnachfrage z.B. für industrielle Prozesswärme, Elektroautos und Wärmepumpen verschoben werden können oder Batteriespeicher flexibel genutzt werden, um die schwankende Produktion von Solar und Wind auszugleichen, würden die Kosten erheblich geringer ausfallen und sich den Gestehungskosten entsprechend annähern. Das großangelegte Ariadne-Forschungsprojekt sieht dabei große Potenziale für eine solche intelligente Lastverschiebung. Beispiel: Die enormen Potenziale bei industrieller Prozesswärme sind effizient zu heben. Auch die Integration dezentraler Energieanlagen bringt eine enorme Flexibilisierungsleistung.


Der preismildernde Effekt dieser Lastverschiebung wird in Grimms Studie nicht beziffert. Das Fazit bleibt jedoch: Selbst ganz ohne Flexibilisierung wären die Kosten einer vollständigen Energiewende nicht höher als heute.


McKinsey 2021: “positiver Business Case”


Ein weiterer vermeintlicher Beleg für die “teure” Energiewende ist eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey aus dem Jahr 2021. McKinsey errechnet dabei sogar 6 Billionen Euro Investitionsbedarf für die Klimawende (also nicht nur bei der Energieerzeugung,sondern auch für Landwirtschaft, Bau, Industrie etc.) bis 2045. Davon sind allerdings 5 Billionen reine Ersatzinvestitionen, müssten also sowieso getätigt werden: auch alte Öl- und Gasheizungen oder alte Autos müssen schließlich getauscht werden. Und wenn man das tut, am besten gleich durch erneuerbare Systeme.


Die sich hieraus ergebenden Mehrausgaben in Höhe von 1 Billion Euro, verteilt über 24 Jahre, sind jedoch nicht zwangsläufig eine volkswirtschaftliche Belastung, sondern als Investition zu verstehen. Wörtlich schreibt die Studie:


„Wenn wir den optimalen Pfad beschreiten, können Einsparungen im Gesamtzeitraum bis 2045 die Kosten der Dekarbonisierung ausgleichen. Durch die Investitionen in neue Technologien kann eine Reihe von operativen Kosten reduziert werden, z.B. Energiekosten von Gebäuden oder Kraftstoff- und Wartungskosten von Fahrzeugen. Auf diese Weise kann Deutschland von einer gestärkten Position als Industriestandort sowie von neu geschaffenen Arbeitsplätzen profitieren. Denn gelingt die Transformation rechtzeitig und erfolgreich, kann Deutschland die Technologieführerschaft in kritischen Exportsektoren aufrechterhalten.”


Und:


„Gelingt es Deutschland nicht, die Rahmenbedingungen für die Transformation rechtzeitig zu schaffen, können Marktanteile deutscher Unternehmen und damit Arbeitsplätze und Wohlstand verlorengehen. Außerdem wäre in diesem Fall ein deutlicher Anstieg der Kosten zu erwarten, insbesondere für Grundbedürfnisse, wie Energie, Wohnen und Mobilität.“


Oder, in kurz: Die Klimawende “kann für Europa auf kostenoptimalem Weg einen positiven Business-Case darstellen.”


ifo 2019: "nicht teurer als heute"


Das ifo-Institut errechnete 2019 kumulative Mehrkosten für die Energiewende in Höhe von 0,5 bis 3 Billionen Euro bis 2050, also über 30 Jahre gestreckt. Die große Bandbreite ergibt sich daraus, dass unterschiedliche Annahmen z.B. zu Energieeffizienz und internationalem Stromhandel getroffen wurden.


Fazit der Studie:


“Ist der Umbau erst einmal abgeschlossen, so belaufen sich die jährlichen kumulativen systemischen Kosten auf einen Wert, der ähnlich hoch liegt wie der heutige Wert zum Betrieb der Energieversorgung. Nach erfolgter Energiewende wäre demnach unsere Energieversorgung nicht teurer als heute.”


Und:


“Aus heutiger Sicht erscheinen diese Mehrkosten vielen astronomisch. In ihrer Größenordnung sind sie vergleichbar mit anderen gesellschaftlichen Großprojekten, zum Beispiel der Wiedervereinigung. Wie sich solche Großvorhaben in Wertschöpfung und Beschäftigung niederschlagen, ist – wie im Fall der Wiedervereinigung – in hohem Maße von der politischen Rahmensetzung abhängig.”


The Economist 2024: "Die Energiewende wird viel billiger, als Sie glauben"


Das britische Wirtschaftsmagazin "The Economist" schrieb 2024: "Die Energiewende wird viel billiger, als Sie glauben". Das liegt, so das Blatt, an diesen Faktoren:


  • Die meisten Szenarien berücksichtigen nicht ausreichend mögliche Kostensenkungspotenziale durch Skalen- und Lerneffekte.

  • Das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum in Industrie- und Entwicklungsländern wird oft in zu simplen Extrapolationen zu linear dargestellt, wodurch wichtige Dynamiken und Veränderungen unberücksichtigt bleiben.

  • Die Preisentwicklung von Technologien mit niedrigen CO₂-Emissionen wird regelmäßig unterschätzt. Ein aktuelles Beispiel dafür sind die stark sinkenden Kosten für Batterien und Solarmodulen.

  • Viele Szenarien basieren auf einem Vollkostenansatz, der die Realität verzerrt. Tatsächlich wird weltweit in Energieinfrastruktur investiert – unabhängig davon, ob es sich um „low-carbon“-Technologien handelt oder nicht. Ein geeigneterer Ansatz wäre ein Grenzkostenmodell, das die tatsächlichen Investitionsentscheidungen realistischer abbildet.


Was kostet der Status Quo?


Ohne die Kosten einer unterlassenen Energiewende zu kennen, fällt es schwer, die Kosten der Energiewende zu bewerten. Nicht alle Studien berücksichtigen die Kosten eines “Weiter so”. Nur zwei Beispiele für oft vernachlässigte Kostenpunkte des fossilen Energiesystems:


Die von McKinsey errechneten Mehrausgaben von 1 Billion Euro bis 2045 entsprechen pro Jahr ca. 42 Milliarden. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 importierte Deutschland Rohöl und Erdgas im Wert von 67,4 Milliarden Euro.


Betrachtet werden müssen auch die gesellschaftlichen Folgekosten der fossilen Energieerzeugung (sogenannte externe Kosten), beispielsweise durch umweltbedingte Gesundheits- und Materialschäden, Ernteausfälle oder Schäden an Ökosystemen. Im Jahr 2020 betrugen die Umweltkosten in den Bereichen Straßenverkehr, Strom- und Wärmeerzeugung mindestens 217 Milliarden Euro, so das Umweltbundesamt. Das ifo Institut gibt eine große Bandbreite von 35 bis 300 Milliarden Euro externe Kosten allein für die 2018 ausgestoßenen Treibhausgase an. 


Preissenkende Wirkung erneuerbarer Energie: das Förderparadoxon


Die Förderung erneuerbarer Energie über das Erneuerbare-Energien-Gesetz erfolgt aus dem Bundeshaushalt. Für 2024 wird ein erheblicher Finanzierungsbedarf von ca. 18 Milliarden Euro erwartet


Diese hohe Summe entsteht insbesondere durch teure Altanlagen, die noch zu einer Zeit installiert wurden, als die vom Staat über 20 Jahre garantierte Einspeisevergütung relativ hoch lag. Für neue Solar- oder Windanlagen sind die Vergütungen erheblich niedriger, für kleine Solaranlagen z.B. nur noch bei 8,1 Cent pro kWh. Mit dem Herausfallen dieser teuren Altanlagen aus der Förderung wird entsprechend auch die Fördersumme geringer.


Die Summe ist aber auch deswegen so hoch, da sich die Förderung aus den sogenannten Differenzkosten ergibt. Die Differenzkosten beschreiben den Unterschied zwischen dem Börsenstrompreis (also dem Marktpreis des eingespeisten erneuerbaren Stroms) und der gesetzlichen Vergütung. Die Differenzkosten sind umso höher, je niedriger der Börsenstrompreis ist. 


Je mehr Erneuerbare Energien aber im Netz sind, desto mehr verdrängen sie teure fossile Kraftwerke und drücken so den Börsenstrompreis. Das liegt am sogenannten Lastfolgeprinzip, auch bekannt als Merit Order, auf dem Strommarkt: Kraftwerke mit geringen Grenzkosten speisen zuerst ein, Kraftwerke mit hohen Grenzkosten zuletzt. Das teuerste Kraftwerk setzt dabei den Strompreis für den gesamten Markt. Da Solar- und Windstrom nahe null Grenzkosten aufweisen (da sie z.B. keine Brennstoffkosten haben), speisen sie zuerst ein. Gaskraftwerke haben die teuersten operativen Kosten und speisen zuletzt ein. Erneuerbare reduzieren die Notwendigkeit von Gaskraftwerken und senken so die Strompreise an der Börse. 


Paradox: Je mehr Solar und Wind im Netz sind, desto höher sind die rechnerischen Differenzkosten, und desto teurer erscheint die Energiewende. 


Die preismindernde Wirkung der Erneuerbaren muss bei einer volkswirtschaftlichen Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden. Eine Studie der Universität Erlangen-Nürnberg zeigte, dass allein 2011 bis 2018 zwar insgesamt 157 Milliarden Euro an Differenzkosten entstanden. Zugleich wurden jedoch Kosten in Höhe von 227 Milliarden Euro durch die preissenkende Wirkung der Einspeisung von Solar- und Windstrom eingespart. In der Bilanz also 71 Milliarden an Einsparung.



Fazit: hohe Kosten der Energiewende kaum belegt


Ein Blick auf aktuelle Studien zur Energiewende zeigt: Die Behauptung hoher oder gar untragbarer volkswirtschaftlicher Kosten ist kaum belegt.


Für einen Übergangszeitraum sind zwar - durchaus erhebliche - Investitionen erforderlich. Diese wirken jedoch nicht als konsumtive Ausgaben, sondern führen zu Wertschöpfung. Nach Abschluss des Übergangs in ein erneuerbares Energiesystem fallen keine höheren Kosten an als heute.


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