Der Bundespräsident hat ein Forschungsprojekt über digitale Ethik ins Leben gerufen. Gut so! Aber einiges läuft schief, wenn wir über digitale Ethik diskutieren.
Langsam verliert man den Überblick, wer bereits alles sich zu digitaler Ethik äußert: Es gab oder gibt bereits die Datenethikkommission der Bundesregierung, die KI-Enquete-Kommission des Bundestags, die High-Level Expert Group on AI der EU-Kommission, den Deutschen Ethikrat (der sich ebenfalls intensiv mit Digitalisierung beschäftigt), die AG Ethik der Initiative D21 (wo ich selbst lange mitarbeitete), den Gesprächskreis Digitalität und Verantwortung bei Facebook Germany (in dem ich Mitglied bin), und viele mehr. Beim Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) habe ich ein Papier zum Thema geschrieben.
Wir schreiben die Feuilletons voll mit Digitale-Grundrechte–Chartas, berühmte Publizisten warnen in dicken Büchern vor selbstfahrenden Autos, und es erscheint Diskussionspapier um Diskussionspapier, das die Probleme von algorithmischen Entscheidungssystemen und Künstlicher Intelligenz mit Verve anprangert.
Nun also auch noch eine Gruppe um Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Das ist gut so, denn der gesellschaftliche Diskurs um Verantwortung ist beim Staatsoberhaupt am besten aufgehoben – und ich bin gespannt, was die Beratungen ergeben. Je mehr über digitale Ethik diskutieren, umso besser – denn so entsteht (hoffentlich) eine informierte, ausgewogene Debatte.
Und die brauchen wir dringend. Denn bislang krankt die Debatte um Künstliche Intelligenz an einem Missverhältnis: Geschätzte 80% der aktuellen Anwendungen von Künstlicher Intelligenz haben keine ethischen Implikationen, sondern dienen lediglich z.B. der Verbesserung der Produktion. Aber 80% der Diskussionen drehen sich um ethische Probleme. Dabei sollten wir doch vor allem diskutieren, wie wir Deutschland überhaupt digital machen können!
Es gibt hierzulande mehr Ethik-Kommissionen als Digitalkonzerne. Und nur wer auch selbst erfindet, kann Standards setzen. Im Rennen um Digitalisierung zählt der dritte Platz nichts. Es zählt allein, wer den besten Algorithmus hat. Vielleicht noch, wer den zweitbesten hat. Die Bronze-Medaille ist nichts wert.
Stell dir vor, China hat die beste Software zur Krebserkennung. Die USA haben die zweitbeste. Und diese Systeme werden mit mehr und hochwertigeren Daten von selbst rapide immer genauer. Wer möchte dann noch den drittbesten haben? Wenn es um dein Leben geht, würdest du lieber das schlechtere, aber ethisch einwandfreie System nutzen – oder doch das System von Google oder von Huawei, die weniger Wert auf ethische Bedenken legten?
Wir reden viel darüber, wie wir die digitalen Services ethisch machen, die andere anbieten. Wir reden aber kaum darüber, wie wir selbst digitale Angebote schaffen, die mit anderen mithalten können.
Ja, wir müssen über Ethik sprechen. Diskriminierung durch Maschinen ist genauso ein Problem wie Diskriminierung durch Menschen. Eine Software beispielsweise, die nur weiße Menschen erkennt, ist nicht nur ethisch für die Tonne, sondern sollte sowieso auch kein brauchbares Geschäftsmodell sein.
Wenn wir eine Digitalisierung mit deutschen und europäischen Werten wollen, dann brauchen wir auch eine deutsche und europäische Digitalwirtschaft. Und mir würden einige Fragen einfallen, die wir uns stellen sollten:
Wie schaffen wir es, dass Spezialisten und Fachleute in Deutschland bleiben – und auch für deutsche Unternehmen arbeiten, und eben nicht für Facebook, Google und Amazon?
Wie generieren wir viele und qualitativ hochwertige Daten, um Künstliche Intelligenz zu trainieren?
Wie bilden wir genügend Menschen schnell in Data Science und verwandten Disziplinen aus?
Wie können wir es schaffen, bei der nächsten Megatechnologie – wie dem Quantencomputing – nicht schon wieder abgehängt zu werden?
Wie zur Hölle schaffen wir es, dass ein neues großes Digitalunternehmen wie Google, Facebook, Amazon, Apple, Microsoft, Baidu, Tencent, Alibaba oder Huawei auch mal in Europa gegründet wird und nicht nur in den USA oder China?
Vielleicht diskutieren wir einmal auch darüber – mit dem gleichen Engagement, mit dem wir zurecht über digitale Ethik diskutieren.
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