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AutorenbildWolfgang Gründinger

Die Solarpflicht macht den sechsten Schritt vor dem ersten


Die Solarpflicht für neue Wohngebäude wird heiß diskutiert. Richtig so - aber sie macht den sechsten Schritt vor dem ersten. Warum es bessere Wege gibt.


Das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die Politik mehr zu tun, um die Klimakrise aufzuhalten. Um das zu schaffen, müssen wir den Zubau von Solarenergie mindestens verdoppeln: von 5 GW im Jahr 2020 auf mindestens 10 GW jährlich, eher sogar mehr – davon die Hälfte Dachanlagen.


Solardächer sind so etwas wie der Goldstandard der Energiewende: Konflikte mit dem Naturschutz gibt es nicht, ebenso wenig Flächenkonkurrenz mit der Landwirtschaft. Und: Wenn die Bürger*innen selbst Strom erzeugen, um Stromkosten zu sparen, ihr Elektroauto zu laden oder mit ihrer Wärmepumpe zu heizen, werden sie selbst Teil einer dezentralen Bürgerbewegung für saubere, günstige Energie.


Solarpflicht: Nur ein Weg von vielen


Mehrere Bundesländer, zuletzt Berlin, setzen auf eine Solarpflicht bei Neu- und Umbauten. Auch die Bundespolitik liebäugelt damit. Ich finde das gut und richtig angesichts der gigantischen Herausforderung der Klimakrise. Aber ich finde auch: Es gäbe andere Wege, um den Solar-Turbo anzuwerfen.


Die Solarpflicht macht Photovoltaik nicht wirtschaftlicher. Wer ein Dach hat, plant die Anlage nur so groß, dass sie entweder die gesetzliche Pflicht gerade so erfüllt, oder dass sie ausreicht, um den Eigenverbrauch zu decken. Sinnvoller wäre es, das ganze Dach voll zu belegen – sonst schaffen wir die Klimaziele nicht.


Ein zweiter Faktor: Wenn die Solarpflicht den Zubau erhöht, führt das im heutigen System zu einer stärkeren Degression der Einspeisevergütung. Schuld ist der atmende Deckel, der seit Jahren nicht angepasst wurde. Er setzt daher viel zu niedrige Ausbauziele und berücksichtigt obendrein nicht die aktuelle Kostenstagnation bei Solarmodulen, die den Lieferengpässen bei Rohstoffen und dem Fachkräftemangel geschuldet ist. Das schnürt den Solarzubau ab. Die Solarpflicht könnte so dazu führen, dass die Wirtschaftlichkeit von Solardächern sinkt – was am Ende paradoxerweise zu weniger starkem Ausbau führt.


Drittens ändert die Pflicht nichts an den vielen technischen und bürokratischen Hürden für den Solarausbau. Ein großes Problem sind beispielsweise alte Zählerschränke, deren Austausch teuer ist. Und viele Netzbetreiber traktieren die Solarenergie mit analogen und teils undurchschaubaren Prozessen beim Netzanschluss – das muss dringend digitalisiert und vereinfacht werden.


Viertens gilt die Solarpflicht nur für Neu- und Umbauten, nicht aber für den Bestand mit seinen weitaus größeren Potenzialen.


Obendrein – mein fünfter Punkt – wirkt sie auch nicht bei Häusern mit mehreren Familien oder bei Mieterstrom: Hier verschleppt die Bundesregierung die Förderung von Bürgerenergie, obwohl die EU sie seit zwei Jahren vorschreibt.


Solarpflicht in Instrumentenmix einbetten


Die wirtschaftlichen Anreize müssen stimmen: Die geplante Reform der EEG-Umlage muss Kollateralschäden für die Wirtschaftlichkeit von Solaranlagen vermeiden. Dazu gehört vor allem, den Ausbaukorridor und die Degression bei der Einspeisevergütung an die klimapolitischen Ziele und an die tatsächliche Kostenentwicklung anzupassen.


Ein Modernisierungsprogramm für alte Zählerschränke und eine Beseitigung bürokratischer Bremsklötze beim Netzanschluss würden sofort helfen. Und die Länder könnten in ihren Bauverordnungen vorschreiben, dass neue Dächer für Solarenergie geeignet sein müssen (“PV-ready”).


Die Solarpflicht muss in ein kohärentes System eingebettet sein – sonst verfehlt sie ihre Wirkung. Lasst uns also nicht den sechsten Schritt vor dem ersten machen.


Zuerst veröffentlicht bei Energate am 14.07.2021




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