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AutorenbildWolfgang Gründinger

Die Letzte Generation - Versuch einer Einordnung

Aktualisiert: 20. Okt. 2023


Klimaproteste

Manche Protestformen der Letzten Generation kann ich nicht verstehen. Noch weniger aber verstehe ich die gefährliche Gewaltwelle, die diesen harmlosen Jugendlichen entgegenschlägt. Versuch einer Einordnung.


Wer von den Protesten der Letzten Generation schreibt, muss erst einmal erklären, welche Proteste genau gemeint sind:


Diese Aktionsvielfalt macht es schwer, über “die” Letzte Generation zu sprechen - denn die Bewegung ist in sich sehr gemischt. Viele der Proteste lassen mich aber zweifeln, was der Sinn sein soll.


Viele Aktionsformen haben keinen Zusammenhang zum Thema. Sie sind hochgradig erklärungsbedürftig und daher nicht kommunizierbar - und verfehlen so ihr Ziel.


Die häufigste Protestform ist sicherlich die Straßenblockade. Dieser Protest ist noch am ehesten inhaltlich zu verstehen, lenkt er doch die Aufmerksamkeit auf den (vor allem fossilen) motorisierten Individualverkehr. Der Verkehrssektor ist der Bereich, in dem die Emissionen weiter steigen und in dem auffällig wenig politisch passiert. Daher macht dieser Protest durchaus Sinn.


Dabei wollen die Klimakleber gar nicht die einzelnen Autofahrer behelligen. Es kann ja gute Gründe geben, Auto zu fahren, zumal es strukturell an Alternativen mangelt. Vielmehr möchte die Letzte Generation die Politik beeinflussen, damit der Einzelne eben nicht mehr so stark auf das (vor allem fossile) Auto angewiesen ist. Die Botschaft, die der Protest aussendet - zumindest wird sie so verstanden -, ist aber genau das Gegenteil. Die Autofahrer fühlen sich getroffen, denn sie sind es ja auch tatsächlich.


Die besseren Adressaten der Aktionen wären daher etwa das Verkehrsministerium oder die FDP-Parteizentrale, denn dort sitzen ja die politisch Verantwortlichen. Daher wurden auch diese zum Ziel der Proteste und mit Farbe besprüht, die sich hoffentlich schadfrei von selbst wieder auswäscht.


Aber:


Was soll Kartoffelbrei auf einem Gemälde? Da muss man sich schon mehrfach verrenken, um auf Klimaschutz zu kommen.


Warum wird ein Baum gefällt? Ich dachte, man will Umwelt und Natur schützen, statt zu zerstören.


Warum besprüht man Universitäten? Brauchen wir nicht mehr Bildung statt weniger?


Warum macht man das Brandenburger Tor kaputt? Gewalt gegen Sachen gehört nicht zur Tradition zivilen Ungehorsams. Schaden: über hunderttausend Euro. Da müssen Handwerker anrücken, um den Schaden zu reparieren. Wie wenig Respekt kann man vor Handwerkern haben? Als ob die nichts anderes zu tun hätten!


Warum beschmiert man das Grundgesetz-Denkmal? Hier bemühen die Aktivisten sinngemäß die Erklärung: “Die Regierung bricht die Verfassung, daher beschmieren wir das Grundgesetz, so wie es die Regierung auch tut!” Aber diese Logik ist völlig verquer. Wenn Aktivisten das Grundgesetz beschmieren, dann senden sie eben genau diese Botschaft: Aktivisten beschmieren das Grundgesetz. Und eben nicht die Regierung. Wollte man auf die behauptete oder tatsächliche Verfassungswidrigkeit der Klimapolitik hinweisen, dann müsste man sich als Karate-Kid oder Security-Mensch verkleiden und sich vor dem Denkmal positionieren, um es vor der Regierung zu schützen. Dann wäre die Botschaft: Aktivisten verteidigen das Grundgesetz. Aber mit der Schmier-Aktion ist es eben genau andersherum.


Warum stört man einen Marathonlauf - ausgerechnet also das vielleicht größte Verkehrsberuhigungsereignis der Stadt? Die Letzte Generation sagt: “Vor der Klimakatastrophe können wir nicht davonrennen.” Auf diesen Twist muss man erstmal kommen. Und würde die Metapher des Marathonlaufs nicht viel besser zum Klimaschutz passen? Schließlich erfordert Klimaschutz sehr viel Ausdauer und Durchhaltevermögen.


Wenn jeder Zusammenhang und jede innere Logik fehlt - oder erst umständlich erklärt werden muss -, dann versteht das Publikum die Botschaft nicht, die gesendet werden soll. So muss der Protest sein Ziel verfehlen oder sogar kontraproduktiv wirken, sofern überhaupt inhaltliche Ziele zählen und nicht nur das bloße Erhaschen von Medienaufmerksamkeit.


Proteste dürfen, ja sollen, unbequem sein. Aber nicht idiotisch.


Einziges Ziel der Proteste ist Aufmerksamkeit - doch die hat Klimaschutz längst.


Die Aktivisten rechtfertigen ihre Proteststrategie mit dem Ziel, Aufmerksamkeit für ihre Forderungen zu erhalten. Dabei vergessen sie: Klimaschutz ist längst im Mainstream angekommen. Aktivistinnen wie Luisa Neubauer sind dauerpräsent. Klimaforscher wie Mojib Latif sind Stammgäste in den Talkshows. Klimademos versammeln regelmäßig Hunderttausende. In Umfragen plädieren große Mehrheiten für mehr Klimaschutz.


Obendrein ist unklar, was denn die Letzte Generation konkret fordert, außer eben: irgendwie mehr Klimaschutz. Laut Website beschränken sich die Forderungen lediglich auf ein 9-Euro-Ticket (statt 49 Euro) und ein Tempolimit. Dafür der ganze Aufwand? Aus Sicht der Letzten Generation sind die beiden Forderungen jedoch absichtlich sehr kleinteilig: Man will vermitteln, dass die Politik nicht einmal solche kleinen Maßnahmen umsetzt, also überhaupt nichts für den Klimaschutz tue. Doch das ist falsch: Die Ampel-Koalition setzt laufend neue Solarpakete um, beschleunigt den Ausbau der Windkraft, fördert mit Milliarden den Umstieg auf erneuerbare Wärme. Die Kohleverstromung ist massiv eingebrochen. Und ab 2027 greift der europäische Emissionshandel auch für die Sektoren Wärme und Verkehr. Immer noch passiert zu wenig - aber zugleich passiert so viel wie noch nie.


Außerdem schlagen die Aktivisten die Einberufung eines “Gesellschaftsrats” vor, also einer Bürgerversammlung, die weitere Maßnahmen erarbeiten soll. Das ist eine nette Forderung, da inhaltsleer und damit ungefährlich. Wer hat schon etwas gegen Bürgerversammlungen? Allerdings: Einen solchen Bürgerrat Klima gab es bereits. Sein Abschlussbericht ist aber sehr allgemein gehalten; und da, wo es konkret wird, geht die Ampelregierung mitunter sogar schon einen Schritt weiter.


Nun ist die Letzte Generation unzufrieden damit, wie der Bürgerrat ablief, und fordert eine Neuauflage. Was passiert aber, wenn sich die Aktivisten verzocken? Bei 20-30% AfD-Wählern wäre auch der neue Rat wohl mit 20-20% Nazis und deren Gefolgschaft besetzt. Was wäre, wenn der Rat nun Klimaschutz ablehnt? Würde die Letzte Generation dann ihre Pforten schließen? Wohl kaum.


Die Ferne zwischen Klimaaktivisten und Bevölkerung wächst


Eine Studie von More in Common zeigt: Die Klimabewegung hat seit 2021 an Unterstützung verloren. "Heute herrscht eine neue Einhelligkeit beim Negativurteil. Wenn wir Menschen dann konkret fragen, ob sie eigentlich eher Verständnis oder kein Verständnis für die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ haben, äußern nur 8 Prozent Verständnis. 85 Prozent reagieren mit Unverständnis."


Die Ferne zwischen Aktivisten und Bevölkerung ist gewachsen: "Um mehr als die Hälfte verringert hat sich der Anteil derer, die finden, dass die Klima- und Umweltbewegung „offen dafür ist, dass Leute wie ich bei ihr mitmachen“ (von 63 auf 29 Prozent); und jener, die finden, dass die Bewegung eine „verständliche Sprache“ spricht (von 65 auf 28 Prozent). Zuletzt wirkte die Bewegung insgesamt also stärker aus- als einladend auf große Teile der Bevölkerung."


Wenn das Ziel sein soll, Mehrheiten - oder auch nur kritische Minderheiten - zu aktivieren, dann hat die Letzte Generation ihr Ziel verfehlt.



Am Ende beweist die Letzte Generation die Tragödie der Medien. Der einzige Grund für den Radau ist die mediale Öffentlichkeit. Würden die Medien nicht über jedes Stöckchen springen und jeden Kartoffelbrei auf ihre Titelseiten drucken, dann würden sich die Aktivisten schnell andere Protestformen überlegen.


Der Klimaaktivismus muss raus aus der Bubble. Die Letzte Generation wirkt überheblich, selbstgerecht und realitätsfremd. Wie wohlstandsverwahrloste Mittelschichtskinder, die keine echten Probleme haben, dafür aber Bock auf Remmidemmi haben und auch mal ins Fernsehen wollen. Mit einem solchen Image gewinnt man keine Mehrheiten; man verschreckt im Gegenteil sogar die kritischen Minderheiten, die eigentlich auf derselben Seite stehen.


Dennoch: Jeder hat das Recht zu demonstrieren!


Viele Gerichte verurteilen Aktivisten wegen Nötigung. Allerdings: Es gibt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2004, das noch so manche Urteile kippen könnte. Damals hatten rund 40 Menschen aus Protest gegen den Irakkrieg die Straße zur US-Militärbasis nahe Frankfurt blockiert und wurden wegen Nötigung verurteilt. Das Bundesverfassungsgericht annullierte das Urteil: Die Sitzblockade ist vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt. Nötigung ist nur dann rechtswidrig, “wenn die Anwendung der Gewalt im Verhältnis zum angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist”. Das Ziel, “Aufmerksamkeit zu erregen und auf diese Weise einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten”, spreche nicht etwa gegen, sondern im Gegenteil für den Schutz durch die Versammlungsfreiheit. Und: Man müsse auch “die Dauer der Aktion”, “die Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten” und weitere Faktoren bei der Abwägung einbeziehen.


So sehe ich das auch. Die Straßenblockaden der Letzten Generation dauern rund 30 Minuten, bis die Polizei eintrifft und die Versammlung auflöst. Das ist völlig zumutbar. Es gibt kein Grundrecht auf staufreie Straßen oder pünktliches Ankommen, weder mit dem Auto noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln.


Ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr sind die Aktionen übrigens sowieso nicht. Ein Blick in den entsprechenden Paragrafen im Strafgesetzbuch hilft.


Das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit hat es an sich, dass es immer die Mobilität beschneidet. Auch Demos von Querdenkern oder Pegida verhindern, dass ich zu Fuß die Straße überquere, mein Fahrrad hole oder zum Bäcker gehen kann - geschweige denn mit dem Auto entlang fahren kann. Die Polizei schützt das Demonstrationsrecht sogar und sperrt die Zugänge ab, damit niemand in die Quere kommt.


Nur weil eine Demonstration nicht angemeldet ist - wie bei der Letzten Generation -, verliert sie nicht den Schutz durch das Grundgesetz. Jeder hat das Recht zu demonstrieren, auch wenn man die Akteure oder Inhalte für bescheuert hält. Das ist die Grundlage unserer Freiheit und Demokratie.


Absolut nicht tolerierbar ist die Gewalt, der den Sitzstreikenden entgegenschlägt.


Es gibt kein Recht auf Selbstjustiz oder angebliche “Notwehr”.


Wer jemand anderen überfährt oder dies versucht, schlägt oder sonst verletzt, der gehört vor Gericht.


Ein Autofahrer fuhr über Hand und Arm einer Demonstrantin; ein anderer Autofahrer schlug einen Demonstranten und trat ihn; ein anderer Demonstrant entging nur knapp einer schweren Verletzung oder gar dem Tod, weil der Lkw-Fahrer ihn überfahren wollte und dann doch noch stehen blieb, als der Demonstrant schon angefahren war. Dieser Gewaltexzess muss sofort aufhören.


Politiker und Journalisten legitimieren die Gewalt sogar noch, indem sie die Proteste als "Staatsfeinde", "Terroristen", "kriminelle Vereinigung" , "Islamisten" oder "RAF" bezeichnen. So machen sie die Täter zu Opfern und deuten die Angriffe in Verteidigung um. Gegen Terroristen und Kriminelle muss man sich schließlich wehren.


Man stelle sich vor, was in diesem Land los wäre, wenn irgendein (vermeintlicher oder tatsächlicher) Linker, Ausländer oder Moslem mit einem Lkw in eine AfD-Demo reinfährt oder einem Querdenker ins Gesicht schlägt, weil der bei Rot über die Ampel lief. Wochenlang würden wir nur über die Gefahr des Linksextremismus diskutieren. Doch wenn Gewalttäter das Leben von Klimaaktivisten bedrohen, dann schweigt das Land. Als ob es das normalste der Welt wäre, das Leben junger Menschen auszulöschen.


Nazis ziehen mordend durch Deutschland, überfahren Menschen mit dem Auto (wie in Münster), wollen Bürgermeister erstechen (wie in Köln), setzen Wohngebäude in Brand, erschießen Migranten, Polizisten, Politiker. 500 per Strafbefehl gesuchte Rechtsextreme sind untergetaucht. Deutschland schweigt, als ob nix los wäre.


Währenddessen sitzen die Klimaaktivisten einfach nur harmlos da und warten, bis die Polizei ihre Personalien aufnimmt.


Irritierenderweise diskutieren wir trotzdem nicht über die Gefahr durch Rechtsextremismus.


Sondern die Wut trifft ein paar junge Leute, nur weil sie mit etwas seltsamen Methoden für Klimaschutz demonstrieren.


Was für eine verkehrte Welt.


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