Die Klimakrise verändert die Außen- und Sicherheitspolitik. Deutschland wird heute auch in der Atmosphäre verteidigt. Klimaschutz ist Landesverteidigung.
Die Klimakrise als Risikofaktor für Frieden, Sicherheit und Stabilität steht längst auf der von Militärstrateg:innen und Sicherheitsexpert:innen. An anderen Krisenherden mangelt es wahrlich nicht - genannt seien Cyberangriffe, destabilisierende Propaganda, völkerrechtswidrige Annektionen fremden Territoriums, Tötung unliebsamer Personen auf ausländischem Gebiet, internationaler Terrorismus, Aufflammen des Nahost-Konflikts, oder die Verdopplung des chinesischen Rüstungsetats. Und doch ist es die Klimakrise, die in der Sicherheits-Community weit oben in der Liste steht.
Gefährliche Klimaveränderungen können die sozialen und ökologischen Verwerfungen in ärmeren Ländern potenzieren und in der Folge neue Migration auslösen, bewaffnete Konflikte um Land und Wasser antreiben, fragile Staaten destabilisieren und bürgerkriegsähnliche Gemengelagen zusätzlich verschärfen. Ein Beispiel: Im dürreanfälligen Äthiopien verschärft die Erhitzung den Hunger und erleichtert die Rekrutierung von Kämpfern für bewaffnete Gruppen.
Bei der jüngsten Münchner Sicherheitskonferenz, dem jährlichen internationalen Klassentreffen der Szene, wurde die Klimakrise intensiv debattiert. Und das Weltwirtschaftsforum in Davos bezeichnete in seinem Weltrisikobericht 2021 die Klimakrise als die dominierende globale Bedrohung der Gegenwart. Und beim von US-Präsident Joe Biden einberufenen Klimagipfel 2021 warnte der US-Verteidigungsminister, General Lloyd Austin: “Der Klimawandel macht die Welt unsicherer, und wir müssen handeln. Heute kann keine Nation dauerhafte Sicherheit finden, ohne sich mit der Klimakrise auseinanderzusetzen.“
"Wir tun noch so, als ob wir von Panzern und Nuklearwaffen bedroht werden. Im 21. Jahrhundert entscheidet aber die Herrschaft über Daten und technologische Systeme den Wettbewerb. Da fällt schon auf, dass China in der Klimatechnologie die Führung übernimmt."
Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz
Das ist kein Trend des letzten Jahres. Seit langem warnen Militärs eindringlich vor der Klimakrise.
Schon 2007 erklärten elf ehemalige US-Generäle, dass der Klimawandel Extremismus und Terrorismus in politisch instabilen Regionen fördern und die US-Streitkräfte belasten könnte. „Der Klimawandel könnte Bedingungen schaffen, die den Krieg gegen den Terrorismus verlängern“, so Ex-Admiral Joseph Lopez, ehemaliger Oberbefehlshaber der US-Seestreitkräfte in Europa. „Wir werden kurzfristig wirtschaftlich auf die eine oder andere Art dafür bezahlen, um Klimagase zu reduzieren, andernfalls werden wir später militärisch mit dem Verlust von Menschenleben bezahlen“, schrieb der ehemalige Kommandeur der US-Armee im Nahen Osten, Ex-General Anthony Zinni.
Die Generäle bestätigten damit die Ergebnisse einer Pentagon-Studie von 2003, die in der Erderhitzung eine Gefahr für den Weltfrieden sah, weil Staaten und Völker ihre schwindenden Nahrungs-, Wasser- und Energiereserven mit Waffengewalt zu verteidigen suchten. Und die NATO stellte in ihrem Strategiekonzept 2010 fest: „Erhebliche Beschränkungen in Bezug auf die Umwelt und Ressourcen, darunter Gesundheitsrisiken, Klimawandel, Wasserknappheit und steigender Energiebedarf, werden das künftige Sicherheitsumfeld in Bereichen, die der NATO Sorge bereiten, beeinflussen und könnten die Planung und die Operationen der NATO erheblich beeinträchtigen.“
Inzwischen schlagen Genozidforscher:innen Alarm: Die Erderhitzung könne zur Zunahme von Gewaltausbrüchen und Völkermorden führen. Jürgen Zimmerer, Professor für für Globalgeschichte an der Uni Hamburg, sagt: “Viele von uns fürchten, dass ‘ethnische Säuberungen’ und Genozide deutlich zunehmen werden. … Mit der Größe der Krise steigt nicht nur die Wahrscheinlichkeit für genozidale Gewalt, sondern auch deren Dimension. Sei es durch multiple Gewaltkonflikte, sei es durch ineinander übergehende Gewaltherde. ... Was wir jetzt an coronabedingten staatlichen Einschränkungen unserer Freiheitsrechte erleben, ist nichts im Vergleich zu dem, was kommen wird, wenn das Polareis geschmolzen und halb Kalifornien abgebrannt ist, die Niederlande und Bangladesch unter Wasser stehen. Und je später wir die Kurskorrektur einleiten, desto drastischer werden die Maßnahmen sein.”
Als sich im Jahre 2006 der UN-Sicherheitsrat auf Initiative Großbritanniens erstmals mit dem Klimawandel beschäftigte, wurden 55 Eingaben eingereicht - so viele wie in keiner Sitzung zuvor. Heute finden zehn der 21 aktiven UN-Missionen in Staaten statt, die von der Klimakrise besonders betroffen sind, so das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI.
Alle Außenpolitik, so formulierte bereits Willy Brandt in Anlehnung an den Physiker und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker, sei in Zukunft nur noch Weltinnenpolitik. Denn die weltumspannende Dimension der Klimakrise hebt die Grenzen zwischen „Innen“ und „Außen“ der Staaten auf.
2003 formulierte der deutsche Verteidigungsminister Peter Struck den berühmten Satz: “Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.”
Heute muss man hinzufügen:
Deutschland wird auch in der Atmosphäre verteidigt. Klimaschutz ist Landesverteidigung.
Wir haben die Wahl: Wir zahlen jetzt einen wirtschaftlichen Preis, um die CO2-Emissionen zu senken - oder wir machen weiter wie bisher und zahlen einen militärischen Preis in der Zukunft.
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