Jedes Land hat seine Intellektuellen, die dem Volk die Welt erklären. In dieser Reihe deutscher Universalgelehrter ist Richard David Precht nicht mehr wegzudenken. Nun hat der Philosoph mal wieder ein neues Buch geschrieben: „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“, und eine Zusammenfassung in der ZEIT veröffentlicht. Darin erklärt er wortreich, warum Künstliche Intelligenz (KI) uns allen Unheil bringt. Für jeden, der sich jenseits des Feuilletons mit der Materie beschäftigt, ist der verschwurbelte Text indes schwer zu verdauen.
Als einziges Beispiel, warum Künstliche Intelligenz (KI) angeblich die Hölle auf Erden errichtet, fällt Precht in seinem ZEIT-Essay das autonome Fahren ein. Was ihn plagt: Wie sollen selbstlenkende Autos entscheiden, wen sie lieber überfahren, wenn es nicht anders geht: „Kinder oder Rentner? Hunde, Kranke, Straffällige?“ Angeblich wird „auch bei uns daran gearbeitet, Autos ‚ethisch‘ zu programmieren“, obwohl das seiner Meinung nach überhaupt nicht geht und außerdem dem Grundgesetz widerspricht. Und dann schweigen auch noch „sämtliche Ethiker in Deutschland“ über diesen Skandal, dass künftig Roboterautos „den Lebenswert von Menschen verrechnen“! Wer autonomes Fahren will, sagt Precht, „will nicht nur einen anderen Verkehr – er will einen anderen Staat.“
Das ist nun wirklich kalter Kaffee. Eiskalt sogar. Seit Jahrtausenden diskutieren Gelehrte über solche Dilemma-Situationen, ohne eine Lösung zu finden. Besonders beliebt war bislang das Beispiel, das ungefähr so ging: Ein Zug fährt auf eine Weiche zu, und der Bahnarbeiter muss entscheiden, ob er auf der einen Schiene weiterfährt – wo ein Kind festgebunden ist -, oder ob er die Weiche auf die andere Schiene umstellt – wo ein alter Mann festgebunden ist.
Wie oft kommt ein solches Szenario wohl vor? Nicht so oft? Stimmt. Und das gilt wenig überraschend auch für autonome Fahrzeuge. In einer unveröffentlichten Auswertung von 30.000 Unfällen mit Sach- und Personenschaden seit 2008 durch das Allianz Zentrum für Technik haben Unfallforscher exakt null (!) Dilemma-Situationen gefunden. Precht bespricht ein Problem, das es gar nicht gibt.
Im Gegenteil: Auf deutschen Straßen sterben jährlich 3000 Menschen durch Autounfälle. Davon sind 90% auf menschliches Versagen zurückzuführen. Wenn computergesteuerte Autos sicherer fahren können und Menschenleben retten könnten – wie ethisch ist es dann, wenn man Menschenleben im Straßenverkehr opfert?
„Klare Analysen und Empfehlungen“ würden „notgedrungen“ die philosophische Debatte „bedrohen“, schreibt Precht ganz ausdrücklich. Zum Teufel mit allen Expertenkommissionen!
Der Welterklärer Precht erklärt die Welt nicht mehr – er will sie gar nicht mehr erklären, sondern lieber im Ungefähren bleiben.
Eine Debatte aus dem Elfenbeinturm
Die digitale Zukunft sieht in Prechts Gedankenwelt düster, ja unmenschlich aus. Eine „Sekte“, sagt er, wolle die Menschheit einer „Maschinenreligion“ unterwerfen: „Hohepriester des Silicon Valley lehren uns, in Menschen unvollständige Maschinen zu sehen, statt in Maschinen unvollständige Menschen.“ Das kommt wortgewaltig daher, aber wen zum Teufel meint er damit? Und auch sonst bleibt Precht mehr im Ungefähren: Die digitale Zukunftswelt gleiche demnach dem Finanzmarkt, einem „Nicht-Ort“, und in diesem Nicht-Ort soll bald folgendes passieren: „Eine schier allmächtige Quantum-Intelligenz dreht von einer Cloud aus die Welt, sieht alles, was in finsterster Nacht passiert, hält alle Fäden mit Wertpapieren in der Hand, jagt Finanzströme um den Globus und optimiert sich dabei ins Unendliche.“
Der Welterklärer Precht erklärt die Welt nicht mehr – er verwirrt sie.
So allmächtig aber ist die Künstliche Intelligenz dann am Ende doch irgendwie nicht. Denn: „Wer glaubt, dass tote Rechenmaschinen Geist, Bewusstsein oder Gefühle entwickeln, hat nicht mal entfernt verstanden, was Geist, Bewusstsein und Gefühle sind.“ Deswegen sei das Gerede von einer nahenden allmächtigen Superintelligenz völliger Quatsch!
Nur: Wen meint er? Die KI-Branche kann es nicht sein, denn die organisierte Digitalwirtschaft warnt selbst davor, KI mit Terminator, Matrix oder anderen Hollywoodfilmen zu verwechseln. Bei allen Anwendungen, die wir auf absehbare Zeit kennen, handelt es sich um „schwache“ Intelligenz, das heißt: Sie übertreffen zwar die menschliche Fähigkeit, aber nur in einem klar abgegrenzten Gebiet, wie z.B. Schachspielen, Krebsdiagnose oder Bilderkennung – können aber nicht alles auf einmal, und gerade das, was Menschen besonders leicht fällt, fällt Maschinen besonders schwer (und umgekehrt).
Precht führt eine Debatte aus dem Elfenbeinturm. Süffisant bemerkt Aljoscha Burchardt vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI): „Es würde mich brennend interessieren, wer in der ‚KI-Branche‘ die von Herrn Precht beobachtete Fantasie von einer nahenden Superintelligenz befeuert. Als Mitglied der Enquete-Kommission ‚Künstliche Intelligenz‘ des Deutschen Bundestages habe ich davon noch nichts bemerkt. Wenn es sich nur auf PR-Leute wie Elon Musk bezieht, ist das ein sehr verkürzter Blick.“
Der Welterklärer Precht erklärt die Welt nicht mehr – er blickt nicht mehr durch.
Zurück in die Antike
Statt eine positive Zukunft zu beschreiben, treibt es Precht in die Vergangenheit – er will 2500 Jahre zurück in die griechische Antike. Dort wurde nämlich noch ordentlich philosophiert! „Geist, Denken, Vernunft und Kalkül waren jene Eigenschaften, die Männer an der schönen Küste Kleinasiens unweit des Ägäischen Meeres [sprich: Griechenland] im 5. und 4. vorchristlichen Jahrhundert zu den Wesensmerkmalen des Menschlichen erklärten. Der Logos schenkte ihnen die Teilhabe an einer höheren Sphäre des Seins, die größer ist als der Mensch selbst. Vom Himmel ins Bewusstsein geholt, wird sie zur Allzweckwaffe. Sie ist Denkmethode, Instanz, Sinnstiftung – aber vielleicht auch nur eine Fiktion, geboren in den Bewusstseinszimmern enger Wirbeltiergehirne.“
Aha, denkt man sich, damals hatten die Menschen noch Kultur und waren verschont vom kulturellen Verfall durch Digitalisierung. Was Precht absichtlich vollständig ignoriert: Die von ihm gepriesene Antike war eine Sklavenhaltergesellschaft, wo nur besitzende Männer die Chance hatten, zu philosophieren. Frauen waren Menschen zweiter Klasse, Sklaven wurden als Eigentum gehandelt, Jungen wurden als Lustknaben sexuell missbraucht, und der große Philosoph Platon entwarf ein detailliertes Konzept für eine Diktatur, in der eine Philosophenkaste regieren sollte und alle anderen arbeiteten.
Der Welterklärer Precht: Er erklärt die Welt nicht mehr.
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