„Wind und Sonne sind nicht grundlastfähig!“, heißt es oft. Wer so argumentiert, ist energiewirtschaftlich in den 90er Jahren stehen geblieben. Entscheidend ist etwas anderes: nämlich, ob der Verbrauch zu jeder Zeit gesichert werden kann – und nicht, ob einzelne Energiequellen tag und nachts produzieren.
Erneuerbare Energien erzeugen nicht konstant Strom: Die Sonne scheint nachts nicht, und Wind weht nicht immer und überall. Manche behaupten daher: Kohle- oder Atomkraftwerke müssten weiterlaufen, denn nur sie könnten rund um die Uhr konstant Strom liefern, seien also „grundlastfähig“. Das klingt plausibel – aber nur, wenn man in der Energiewirtschaft der 90er Jahre stehengeblieben ist.
„Grundlast“ ist der Strombedarf, der während eines bestimmten betrachteten Zeitraums nicht unterschritten wird, also der dauerhafte Mindestbedarf an Strom. Prinzipiell kann jedes Kraftwerk eingesetzt werden, um die Grundlast zu decken. Für die Sicherheit der Stromversorgung ist nicht relevant, welches Kraftwerk eingesetzt wird. Relevant ist nur, dass der Strombedarf zu jeder Zeit zuverlässig gedeckt wird.
Die zuverlässige Deckung kann erreicht werden, indem fossile Kraftwerke rund um die Uhr laufen – oder genauso durch eine Verschaltung erneuerbarer Energiequellen. Mittels Sektorkopplung und intelligenter Vernetzung von Solaranlagen, Windrädern, Wärmepumpen, Speichern und E-Autos zu einem virtuellen Kraftwerk werden auch fluktuierende Erzeugungsmengen berechenbar und steuerbar, zumal auch Wasserkraft, Geothermie und Biomassekraftwerke hinzugeschaltet werden können. Und dank Power-to-Gas wird erneuerbare Energie auch saisonal speicherbar.
Das Forschungsprojekt „Kombikraftwerk 2“ des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik demonstrierte bereits 2013, dass auch bei einer vollständig regenerativen Stromversorgung ein sicherer und zuverlässiger Netzbetrieb prinzipiell möglich ist, wenngleich damals noch mit einigen technischen Fragezeichen. Heute, zehn Jahre später, wurde vielfach berechnet, eine Energieversorgung mit 100% Erneuerbaren technisch und wirtschaftlich machbar ist.
Die Residuallast entscheidet
Im Stromnetz der Zukunft ist nicht mehr die Grundlast entscheidend, sondern etwas anderes: die Residuallast. Das ist der übrigbleibende Strombedarf, die man noch decken muss, nachdem man die fluktuierende Erzeugung durch Sonne und Wind abgezogen hat. Also das, was Speicher oder flexibel zuschaltbare/hochfahrbare Kraftwerke liefern müssen, wenn Sonne und Wind nicht reichen. Das können Gaskraftwerke sein, teilweise auch Kohle- oder Atomkraftwerke, je nach deren Flexibilität in der Regelbarkeit der Leistung.
Das funktioniert: Seit dem Jahr 2000 sind die Stromausfälle in Deutschland sogar rückläufig – trotz Ausbaus erneuerbarer Energien (siehe hier die Datengrundlage der Bundesnetzagentur). Die Daten des VDE zeigen: "Deutschland ist bei der Zuverlässigkeit der Stromversorgung international an der Spitze." Im internationalen Vergleich gehört Deutschland zu den Ländern mit der größten Stromnetzstabilität und nimmt einen der besten Plätze ein beim SAIDI-Wert (System Average Interruption Duration Index). Eines der wenigen noch stabileren Länder: Dänemark – ein Land mit 53,7% Wind- und Solarstrom.
Wir benötigen flexible, spitzenlastfähige Kraftwerke, die diese Residuallast bedienen können. In einem erneuerbaren Energiesystem brauchen wir eher weniger Kraftwerke, die rund um die Uhr konstant Strom produzieren. Die Grundlast-Diskussion redet daher am Thema vorbei.
Der Kraftwerkspark verändert sich. Wir werden mehr flexible Kapazitäten, z.B. Gaskraftwerke, brauchen. Diese werden aber nicht immer laufen, sondern nur, um die Spitzen abzudecken.
Je mehr regenerative Energien dazukommen, und je mehr wir Sektorkopplung, Speicher und intelligente Netze ausbauen, desto geringer wird die Residuallast, und damit sinkt auch der Bedarf an Spitzenlastkraftwerken.
Eine Studie von Prognos, Öko-Institut und Wuppertal-Institut im Auftrag der Agora Energiewende ergibt: Die installierte Leistung an Gaskraftwerken muss von 32 GW heute bis 2030 auf 43 GW und bis 2050 auf 73 GW wachsen. Philipp Litz, Projektleiter bei Agora Energiewende: "Wir gehen davon aus, dass vor allem viele kleine, dezentrale Gasmotoren und -turbinen installiert werden. Das geht deutlich schneller als der Bau von Großkraftwerken."
Im Konflikt mit den Klimazielen steht dies nicht: Denn erstens werden die Gaskraftwerke nicht immer laufen, sondern nur zur Abdeckung der Residuallast dienen, die nicht anderweitig bedient werden kann - es gibt also mehr Leistung, aber nicht gleich so viel mehr Verbrauch. Zum anderen können die Gaskraftwerke auch mit grünem Methan oder grünem Wasserstoff (Power-to-Gas) befeuert werden. "Betrachtet man die Energiewende als Ganzes, sind die Kosten für die Backup-Kapazitäten überschaubar", sagt Christoph Kost vom Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme (ISE).
Je mehr erneuerbare Energie im Netz ist, desto mehr verstopfen starre Großkraftwerke die Netze. Dann müssen Windkraftwerke abgeriegelt werden, oder der überflüssige Strom muss zu Billigstpreisen verschleudert werden, um die Netzstabilität zu gewährleisten.
Für eine Übergangszeit machen „Grundlast“-Kraftwerke wie Kohle- oder Atomkraftwerke teilweise noch Sinn. Im Energiesystem der Zukunft entscheidet aber die Residuallast – nicht die Grundlast.
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